Das Katastrophenprinzip

Das Katastrophenprinzip (original: „The World as Holocaust“) ist ein Essay von Stanisław Lem und bildet den abschließenden dritten Band seiner „Bibliothek des 21. Jahrhunderts“. Mit dem Untertitel „Die kreative Zerstörung im Weltall“ nennt Lem eines der bestimmenden Themen des Werks: Katastrophen in unterschiedlichen Maßstäben waren notwendige Faktoren für die Entwicklung menschlichen bzw. intelligenten Lebens. Nicht explizit genannt, beschäftigt sich der Text weiter mit dem Fermi-Paradoxon (der Wahrscheinlichkeit und damit die Häufigkeit der Entstehung intelligenten Lebens im Universum) sowie dem Zufall als ebenfalls bestimmenden Faktor.

Inhalt

Lem beginnt mit den Katastrophen in kosmischem Maßstab, welche die Entstehung der Erde und damit des sich dort bildenden Lebens bedingen: Supernova-Explosionen, die die notwendigen Elemente erzeugten, aus denen Erde sowie ihre Lebensformen entstanden. Das sukzessive Eintreten dafür notwendiger Katastrophen sowie der folgenden Bedingungen vergleicht Lem mit einem „unehrlichen Roulette“: während auf einem „ehrlichen“ Roulettetisch mit statistisch nachvollziehbarer (Un-)Wahrscheinlichkeit bestimmte Zahlen gelost werden, gleicht die Abfolge der Sternexplosionen, Schockwellen, Anreicherung von Staubwolken mit bestimmten Elementen, Kataklysmen und Ruhephasen dem unehrlichen Roulette, das neben einem Ofen von der Hitze gekrümmt und von zufällig vorbeifahrenden Lastwagen erschüttert wird. Eine stochastische Prognose seines Verhaltens werde damit praktisch unmöglich. Lem liefert dabei einen Abriss des damaligen Stands der Kosmologie in Bezug auf die Entstehung des Sonnensystems und der Definition einer habitablen Zone in der Galaxis. Die Serie der Katastrophen wird anschließend auf solarer bzw. globaler Ebene (der kataklysmischen Entstehung des Erdmondes, der Ausrottung der Dinosaurier) fortgesetzt, die alle ihrerseits Voraussetzung der Entstehung intelligenten menschlichen Lebens wurden.

Lem geht bei der Einordnung der Wahrscheinlichkeit einer solchen notwendigen Abfolge von einem Übergang statistisch berechenbarer Systeme zu statistisch unberechenbaren Phänomenen über: diese seien möglich, statistisch aber nicht mehr berechenbar. Lem veranschaulicht das mit Anzahl, Größen und Formen der Splitter, die entstehen, wenn man wiederholt Sektflaschen aus dem Fenster wirft: diese seien statistisch analysierbar, ihre Häufigkeiten benennbar. Dass die Flasche vom Ball eines spielenden Kindes getroffen, in die Küche der Nachbarin fliegt, dort in ein vernachlässigtes Aquarium fällt, Laich in einen zufällig danebenstehenden Eimer schleudert, aus dem sich Fische entwickeln, die durch eine weitere Flasche in eine Pfanne geschleudert werden usw. sei prinzipiell möglich, die Wahrscheinlichkeit aber nicht mehr sinnvoll benennbar. Lem lehnt dabei ein „anthropisches Prinzip“ vehement ab, welches er als Fehlschluss betrachtet und polemisch ein „Chartreuse Liqueur Principle“ vorschlägt, in dem die Anfangsbedingungen unseres Kosmos die Entstehung eines solchen Likörs bedingten.[1]

Lem schließt den Band mit der These ab, das Entstehen der menschlichen Intelligenz im Kosmos sei Folge einer Serie katastrophaler Zufälle, über deren Wahrscheinlichkeit keine sinnvollen Angaben gemacht werden könnten, schwächt sie zum Schluss jedoch dahingehend ab, dass im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess mehrfach als sicher geltende Weltbilder bis zu ihrem vollständigen Zerfall korrigiert wurden.

Ausgaben

  • Erstausgabe: Das Katastrophenprinzip: Die kreative Zerstörung im Weltall. Aus Lems Bibliothek des 21. Jahrhunderts übersetzt von Friedrich Griese. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1983, ISBN 978-3-518-37499-3
  • Neuausgabe: Das Katastrophenprinzip: Die kreative Zerstörung im Weltall. Aus Lems Bibliothek des 21. Jahrhunderts übersetzt von Friedrich Griese. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-518-74325-6

Einzelnachweise

  1. Stanisław Lem, Friedrich Griese, Stanisław Lem: Das Katastrophenprinzip: die kreative Zerstörung im Weltall (= Suhrkamp-Taschenbuch). 1. Aufl., [Nachdr.]. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, ISBN 3-518-37499-0, S. 22. 
Werke von Stanisław Lem

Science-Fiction-Werke: 1946 Człowiek z Marsa (dt. Der Mensch vom Mars, 1989) | 1951 Astronauci (dt. Der Planet des Todes / Die Astronauten, 1954) | 1955 Obłok Magellana (dt. Gast im Weltraum, 1956) | 1957 Dzienniki gwiazdowe (dt. Sterntagebücher, 1961) | 1959 Eden (dt. Eden, 1960) | 1961 Solaris (dt. Solaris, 1972) | 1961 Pamiętnik znaleziony w wannie (dt. Memoiren, gefunden in der Badewanne, 1974) | 1961 Powrót z gwiazd (dt. Transfer / Rückkehr von den Sternen, 1974) | 1964 Niezwyciężony (dt. Der Unbesiegbare, 1967) | 1964 Bajki robotów (dt. Robotermärchen, 1969) | 1965 Cyberiada (dt. Kyberiade, 1983) | 1968 Opowieści o pilocie Pirxie (dt. Pilot Pirx, 1978) | 1968 Głos Pana (dt. Die Stimme des Herrn, 1981) | 1969 Opowiadania (dt. Nacht und Schimmel, 1972) | 1971 Kongres futurologiczny (dt. Der futurologische Kongreß, 1974) | 1976 Maska (dt. Die Maske, 1978) | 1981 Golem XIV (dt. Also sprach Golem, 1984) | 1982 Wizja Lokalna (dt. Lokaltermin, 1985) | 1986 Pokój na ziemi (dt. Der Flop / Frieden auf Erden, 1986) | 1987 Fiasko (dt. Fiasko, 1986) |

Verschiedene: 1951 Jacht „Paradise” (Theaterstück, mit Roman Hussarski) | 1955 Szpital przemienienia (dt. Die Irrungen des Dr. Stefan T. / Das Hospital der Verklärung, 1959) | 1957 Dialogi (dt. Dialoge, 1980) | 1959 Śledztwo (dt. Die Untersuchung, 1975) | 1964 Summa technologiae (dt. Summa technologiae, 1976) | 1968 Filozofia przypadku (dt. Philosophie des Zufalls, 1983 / 1985) | 1968 Wysoki Zamek (dt. Das Hohe Schloß, 1974) | 1970 Fantastyka i futurologia (dt. Phantastik und Futurologie, 1977 / 1980) | 1971 Doskonała próżnia (dt. Die vollkommene Leere, 1973; Das absolute Vakuum, 1984) | 1973 Wielkość urojona, (dt. Imaginäre Größe, 1976) | 1976 Katar(dt. Der Schnupfen 1976) | 1978 Rozprawy i szkice, (dt.  aufgeteilt auf Sade und die Spieltheorie, 1986; Über außersinnliche Wahrnehmung, 1987; Science-fiction: ein hoffnungsloser Fall mit Ausnahmen, 1987) | 1980 Prowokacja, (dt. Provokation, 1981) | 1983 One Human Minute, (dt. Eine Minute der Menschheit, 1983) | 1983 Weapon Systems of the 21st Century or the Upside Down Evolution, (dt. Waffensysteme des 21. Jahrhunderts, 1983) | 1983 The World as Holocaust, (dt. Das Katastrophenprinzip, 1983) | 1992 Die Vergangenheit der Zukunft | 1996 Tajemnica chińskiego pokoju, (dt. Die Technologiefalle, 2000) | 1999 Bomba megabitowa, (dt. Die Megabit-Bombe, 2003) | 2000 Okamgnienie, (dt. Riskante Konzepte, 2001) | 2003 DyLEMaty | 2006 Rasa drapieżców – Teksty ostatnie | 2009 Sknocony kryminał (posthum) |

Verfilmungen: 1960 Der schweigende Stern | 1963 Ikarie XB 1 | 1968 Solaris | 1972 Solaris | 1974 Die Untersuchung | 1978 Testflug zum Saturn | 2002 Solaris | 2007/2011 Ijon Tichy: Raumpilot

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